Der kalte Jakobsweg im Winter endete in Mannheim

PILGER AUF DER STRASSE DES LEBENS

(hr) Das Kino ist voll mit besonderen Geschichten. Da werden Tellerwäscher zu Millionären, Hausfrauen zu Agentinnen und Wirtschaftsmagnaten zu Superhelden. Doch das Abenteuer „Kino“ ist nicht auf den Zauber der Leinwand beschränkt. Fast jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter kann eine besondere Geschichte erzählen. Manche davon sind filmreif – wie die von Bastian Pilger.

Foto: Christoph Heymann

Die aktuellen Lebensziele von Bastian Pilger hören sich beinahe langweilig und ziemlich banal an. Er sehnt sich nach einem vertrauensvollem Freundeskreis, einem wohnlichen Zuhause, einem erfüllenden Job, kurz: nach einer unterm Strich glücklichen und zufriedenen bürgerlichen Existenz. Auf die freche Frage, ob er das schafft, kommt die mit einem Schuss Weisheit erfüllte Aussage: „Ich glaube schon, denn inzwischen habe ich gelernt, dass der Weg das Ziel und Disziplin ein guter Gefährte ist.“

 

Bastian Pilger (32) weiß genau, warum er so ernst antwortet. Insgesamt rund 11 Jahre hat er in besetzten Häusern, irgendwo bei Kumpels oder – meistens – auf der Straße gelebt. Das Arbeiterkind aus Westfalen wollte was vom Leben und überforderte seine Umwelt. Er war schon Vieles: Klassenbester, Gymnasiast, Heimkind, Punk, Jongleur, Gamer und Bauwagenbewohner. Und das ist nur die Kurz- fassung; am Ende machte er „Platte“, lebte auf der Straße oder unter freiem Himmel.

 

Doch Bastian Pilger nahm seinen Namen als gutes Omen und startete fünfmal auf den Jakobsweg. Zweimal brach er die Pilgerreise ab, dreimal hielt er durch bis Santiago de Compostela. Die gestempelten Pilgerpässe und die Urkunden an der Wand in seiner Mannheimer Single-Wohnung legen Zeugnis ab. Nach dem letzten Pilgerweg im kalten Winter ging er nach  Mannheim, weil hier die Einnahmen durch Betteln nicht schlecht sind. Frierend, aber zu stolz und zu genervt, um die Sozialagentur zu behelligen, bat er im Februar an den Kapuzinerplanken um Almosen. Der Weg zum Amt kam nicht in Frage, zu gängelnd und zu entwürdigend.

 

Dann passierte das, was im Film „Schlüsselszene“ heißt. Bastian Pilger begegnete Aysel Spickert, die sich seine Geschichte erzählen ließ, berührt war und statt guter Ratschläge, wie die meisten, unbürokratisch und konkret eine Perspektive mit Job anbot. Auf einen solchen Schubs hatte Bastian Pilger irgendwie gewartet. Er ergriff die Chance, ließ sich von soviel einnehmender Tatkraft anstecken und ist heute eine wertgeschätzte Servicekraft im Cineplex. Gute Geschichten gibt’s halt nicht nur auf der Leinwand, sondern auch davor und daneben.

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