FILMSTADT MANNHEIM?
Seinen Erfolg auf dem diesjährigen Festival des Deutschen Films hat Jan Schmitt als „grandios“ erlebt. Erstmals hat er auf der Parkinsel seinen Film „Mein Vater, sein Vater und ich“ auf der großen Leinwand gesehen. Das war für den 47-Jährigen auch deshalb ein „tolles Erlebnis“, weil er gemeinsam mit mehr als 2.200 Menschen im Publikum nachspüren konnte, wie seine „puzzlestückhafte, assoziative, ineinandergreifende Erzählweise“ tatsächlich funktioniert. Es gelang: Das Publikum ließ sich in den Sog der Geschichte hineinziehen, und die dokumentarische Berichterstattung erzielte die beabsichtigte Wirkung. Jan Schmitt geht mit seinem selbstfinanzierten Filmexperiment neue Wege.
Er erfindet den Dokumentarfilm neu und macht daraus ein abendfüllendes Kinoerlebnis. Dass dieses überraschende Experiment in Mannheim spielt, Mannheimer Szenen zeigt und Menschen aus Mannheim zu Wort kommen lässt, hat wohl auch zu dem Erfolg beim Filmfestival beigetragen. Zur Zeit läuft der Film erneut mit großem Erfolg beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg. CARPET ROUGE hat mit dem 1967 in Mannheim geborenen Jan Schmitt über seine Vision vom Filmemachen, über das Filmbusiness und über Mannheim gesprochen.
Fotos: Herbert W. Rabl
Was ist ihr neuester Film mit dem Titel „Mein Vater, sein Vater und ich“ eigentlich – ein Dokumentarfilm, ein Heimatfilm über ihre Geburtsstadt oder ein Film über gestörte Vaterbeziehungen?
Jan Schmitt: Es ist ein dokumentarisch erzählter Film, der aber etwas anderes versucht, als ein Dokumentarfilm zu sein. Ich habe, wenn Sie so wollen, verschiedene Genres in einem
Film zusammengebracht. Die Zuschauer vergessen schnell, dass sie eigentlich in einem Dokumentarfilm sitzen. Wer sich darauf einlässt wird merken, dass der dokumentarische Film genauso berühren
kann wie ein fiktionaler. Es kommt auf die Art und Weise an, wie eine Geschichte erzählt wird.
Geschichten erzählen aber doch alle Filme. Das ist nichts Neues?
Schmitt: An dokumentarischen Erzählungen ist wirklich faszinierend, dass es immer um Wahrhaftigkeit geht. Das ist zentral für meine Arbeit. Wir leben in einer Welt voll mit
Plastik, wir sind umgeben von Plastik und haben auch Plastik im Kopf. Mit Facebook und Twitter wissen wir gar nicht mehr, ob wir echten Gefühlen begegnen oder nur „Plastik“. Die Stärke des
Dokumentarischen ist es, auch emotional berühren und bewegen zu können. Das muss nicht langweilig sein. Damit experimentiere ich.
Und warum erzählen Sie in dem Film eine sehr persönliche Geschichte aus Ihrer Familie?
Schmitt: Der Film erzählt eine Familiengeschichte wie sie deutscher nicht sein kann. Parallelitäten zur deutschen Geschichte sind nicht zufällig. Von daher ist es nur bedingt
persönlich. In dem Film reden nur Männer, die alle auch Väter sind, über meinen Vater und letztlich über sich selbst als emotional eher abwesende Vatergeneration. Die Spur führt zu ihren Vätern
und hat Spuren bei ihren Kindern, also meiner Generation, hinterlassen. Mein Blick als Sohn und gleichzeitig als distanzierter Beobachter ist, glaube ich, der Schlüssel für das filmisch
berührende Erleben im Kino.
Mannheim ist in Ihrem Film gut erkennbar. Die Erzählung berücksichtigt bewusst Mannheim nicht nur als Kulisse. Ist Mannheim eine Filmstadt?
Schmitt: Mannheim hat ein widersprüchliches Image. Es ist sehr laut, eine von Männern geprägte Arbeiterstadt, die rau und unverstellt ist, frei Schnauze und doch bodenständig.
Andererseits ist die Stadt auch kurfürstlich mondän, das klingt ganz anders; die Mischung aus beidem wirkt wie aus der Zeit gefallen. Aber auf besondere Weise steht Mannheim zu seiner Geschichte
und ist authentisch laut. Nicht ohne Grund fühlen sich Künstler von Mannheim angezogen. Für dokumentarische Filme ist Mannheim eigentlich ein ideales Pflaster, von deutschen Filmschaffenden
bislang aber noch zu wenig beachtet.
Was müsste Mannheim oder die Metropolregion Rhein-Neckar tun, um mehr Filmleute auf die Idee zu bringen, in Mannheim Filme zu drehen oder Mannheim und Mannheimer Themen filmisch
umzusetzen?
Schmitt: Mannheim und die Region hat ja eine Filmcomission, hört sich besser an als es ist, die Filmproduktionen unterstützt und Hilfestellungen geben soll. Das Problem ist, dass
die Filmcomission das, was wirklich gebraucht wird, nicht ermöglichen kann.
Und was wird „wirklich gebraucht“?
Schmitt: Da geht’s gar nicht nur ums Geld. Es geht um konkrete Hilfe und Kontakte, die Filmleute wie wir mit kleinem Budget bräuchten. Kann uns etwa die Stadt für das Team einen
günstigen Mittagstisch ermöglichen, uns in irgendeinem Gästehaus unterbringen? Oder gäbe es ein Hotel das uns einlädt? Und kriegen wir einen extra Raum, wo die ganze Technik weggeschlossen werden
kann? Können wir in einem Studio – vielleicht in der Pop-Akademie – Sprachaufnahmen machen? Nicht mal einen Kran und Lichttechnik konnten wir in der Region leihen, wir haben das in Frankfurt
bekommen, was logistisch und finanziell schwer zu bewältigen war. Die Preise sind im Süden leider weitaus höher als etwa in Berlin.
Gar keine positiven Erinnerungen an Mannheim als Filmstadt?
Schmitt: Doch natürlich, die Menschen sind toll, ihre Hilfsbereitschaft ist sagenhaft. Das hat aber mit der offiziellen Seite gar nichts zu tun. Die Motorenwerke Mannheim haben
uns beispielsweise zwei Drehtage bezahlt, damit wir in der Neckarstadt länger drehen konnten. Die Geschäftsleitung hat uns das mal eben so ermöglicht. Ich verstehe nicht, warum hier das
Mannheimer Kulturamt mit seiner Filmcommission nicht ansetzt. Es gibt bestimmt weitere Unternehmen, die Mannheim als Filmstadt unterstützen könnten. Wenn es da so eine Art Fond gäbe, und der
Filmbeauftragte etwa über die Finanzierung von Drehtagen mit entscheiden könnte, würde sich das in der Filmbranche schnell herumsprechen und es könnte bundesweit beispielgebend sein. So hätten
auch kleinere Filme eine Chance.
Anderes Thema: Wohin geht die Reise des deutschen Films?
Schmitt: Das Problem ist: Viele Filmregisseure hängen an irgendwelchen Fördertöpfen. Wenn man so wie ich ein unabhängiger Filmemacher ist, geleitet vom inneren Drang anderes
Erzählkino machen zu wollen, bekommt man kaum Förderung. Die Filmförderanstalten haben einen bestimmten Tunnelblick und fördern „Formate“, die sie nachvollziehen können. Das bedeutet: Experimente
haben weniger Chancen und das begrenzt die Vielfalt des Spektrums und begrenzt den deutschen Film in der Wahrnehmung.
Und was wäre die Lösung dieses Dilemmas?
Schmitt: Zum einen bräuchte die Filmförderung mehr Mut. Warum gibt es so gut wie keine Postproduktionsförderung, mit der Filme nach Abschluss der Dreharbeiten gefördert werden
könnten, die gut sind, sich aber die letzten Schritte wie den Schnitt, die Farbkorrektur, Tonmischung und ein Titeldesign nicht leisten können? Dazu kommt, dass ich in Berlin viel billiger
produzieren kann als in Stuttgart, weil die Preisunterschiede für das gleiche Leistungsspektrum immens sind. Auch deshalb gibt es mehr Filme über Berlin als über Baden-Württemberg.
Und wohin sollte die künstlerische Reise des deutschen Films gehen?
Schmitt: Ich glaube gar nicht, dass es „den deutschen Film“ überhaupt gibt. Es gibt Klamauk, Komödien, Spielfilme und Dokumentarfilme wie überall. Der deutsche Film ... was ist
das? Vielleicht eine Art von Behäbigkeit, von mangelndem Mut. Ich wünschte mir, dass wir ähnliche Wege gehen, wie sie in Spanien oder in England gegangen werden. Dort werden kleine Geschichten
berührend und packend verfilmt, die gesellschaftliche Relevanz haben und nicht kitschig sind. Solche Themen haben wir auch, aber sie werden nicht zu Filmen. Es wäre toll, wenn die Gesellschaft
wieder zusammenfindet, das Kino kann dazu beitragen, es kann der gemeinsame Nenner sein, kann die Menschen packen und kann gesellschaftlich etwas auslösen – davon bin ich überzeugt. Ein neuer
Realismus wäre spannend.
Die Fragen stellte Herbert W. Rabl.