Interview mit Dr. Ulrike Freundlieb

KINO IST PER SE EIN AUSSERSCHULISCHER BILDUNGSORT

Dr. Ulrike Freundlieb (62) ist eine beeindruckende Frau. Sie ist sehr dezent und zeitlos schick gekleidet, spricht klar und betont, doch da ist nichts Abgedroschenes. Es ist, als ringe sie mit jedem Satz um die beste Lösung für ihre Sache. Dr. Ulrike Freundlieb ist seit 2011 Bürgermeisterin für Bildung, Jugend und Gesundheit in Mannheim. Die gebürtige Duisburgerin ist SPD-Mitglied und wurde mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen gewählt. In den Mannheimer Kinos sieht Dr. Ulrike Freundlieb einen idealen Kooperationspartner. Warum sie das so sieht, wollte CARPET ROUGE genauer wissen:


Fotos: Frank Noreiks

Als wir Sie um ein Interview gebeten haben, kam Ihre positive Antwort prompt. Warum?

Dr. Ulrike Freundlieb: Kino ist per se ein außerschulisches Bildungsangebot. Dem Kino gelingt es, über das Medium Film bildungsrelevante Inhalte einer breiten Bevölkerung nahezubringen. Ein naheliegendes Beispiel ist etwa die Kooperation der Mannheimer Kinos mit der Kunsthalle. Ist das Filmangebot zu einer Ausstellung spannend, bringt mich das auch dem Angebot der Kunsthalle näher. Besonders freue ich mich natürlich über die Zusammenarbeit mit dem CinemaxX bei unserem Kurzfilmfestival „Girls Go Movie“ im Herbst. Die Berührungspunkte sind vielfältig.

Sie sehen also das Kino als Bildungsort?

Dr. Ulrike Freundlieb: Kulturelle Bildung spielt eine große Rolle in unserer breit aufgestellten Angebotspalette. Die Kultur bietet niederschwellige Einstiegsmöglichkeiten in den Themenkomplex Bildung, und Bildung ist der Schlüssel zu Teilhabe. Wollen wir unsere Stadtgesellschaft gesund, lebhaft, innovativ und lebenswert erhalten, müssen wir in die Bildung unserer Jugend investieren, damit sie mit uns gemeinsam unsere Stadtgesellschaft weiter baut und erhält.

Aber was hat kulturelle Bildung mit „Kino“ zu tun?

Dr. Ulrike Freundlieb: Eine Menge. Kulturelle Bildung ist ein breites Feld und hat völlig offene Zugangsmöglichkeiten, ist bisweilen sogar unabhängig von hoher Sprachkenntnis realisierbar. Also insgesamt wichtig und nötig, da damit auch Bildungsgerechtigkeit hergestellt werden kann. Deshalb bin ich den Spickert-Kinobetrieben auch dankbar, wenn wir gemeinsam Projekte realisieren. Ich bin überzeugt, dass alle Beteiligten davon profitieren: Das Kino bietet seinen Gästen ein schönes Festival und gute Filme, wir motivieren junge Menschen. Solche Kooperationen sind fruchtbar und sinnvoll.

Sie meinen Festivals und Workshops, die wir gemeinsam mit der Stadt Mannheim und anderen Partnern durchführen?

Dr. Ulrike Freundlieb: Genau. Wenn ich zum Beispiel höre, dass Kinder und Jugendliche die Angebote des „Billie Awards“ dankbar annehmen, schnell lernen und schon nach kurzer Zeit mit der Kamera loslaufen, freue ich mich riesig. Solche Projekte lohnen – für das Kino, uns und natürlich auch den Bürger.

Sehen sie noch weitere Beispiele, mit denen das Kino kulturelle Bildung ermöglicht?

Dr. Ulrike Freundlieb: Etwa das Filmfestival „Girls Go Movie“ gehört dazu oder die Wahlkampagne speziell für Jugendliche „Bock auf Wahl“. All das sind Anknüpfungspunkte an die vielfältige Arbeit der Jugendförderung. Die nachhaltige, langfristige und intensive Jugendarbeit der Jugendförderung ermöglicht so einen zeitgemäßen und direkten Einblick in die Lebenswelt der Jugendlichen. Dabei ist es für mich zweitrangig, wie viele Filme am Ende tatsächlich entstehen. Ungleich wichtiger ist die Zahl der erlebten Erfolge, wie viele Potentiale und Talente berührt oder sogar geweckt wurden.

Was gewinnen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Ihrer Sicht durch solche Workshops und Kooperationen mit dem Kino?

Dr. Ulrike Freundlieb: Am Ende haben die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer dank solcher Projekte ein buntes Wissen angehäuft und vielfältige Erfahrungen gesammelt: Wie präsentiere ich mich, wie verteidige ich meine Idee, wie fühlt es sich an, zäh an etwas zu arbeiten, wie schließe ich Kompromisse, wie bediene ich Technik. Solche Projekte konfrontieren die Jugendlichen mit bis dahin oft ungekannten Herausforderungen und eröffnen nicht selten ganz neue Perspektiven – und zwar aus der Praxis heraus, losgelöst von Schulnoten und Theorie. Perspektiven jenseits der zehn klassischen Ausbildungsberufe aufzuzeigen, ist mir ein großes Anliegen, und der Bildungseffekt solcher Projekte gerade diesbezüglich ist enorm.

Sehen Sie noch weitere Effekte solcher kulturellen Bildungsprojekte?

Dr. Ulrike Freundlieb: Projekte dieser Art bringen einen wichtigen Zusatzeffekt mit sich: Lernen kann Spaß machen. In solchen Projekten findet sich ein ganz neues Bildungsund Lern-Setting. Zugleich ist es die Erfahrung, dass Lernen eben nicht nur in der Schule stattfindet, sondern auch in außerschulischen Angeboten. Ich wünsche mir sehr, dass wir alle gemeinsam künftig noch mehr Kinder und Jugendliche erreichen, die sich diesen Angeboten zuwenden.

Warum singen Sie so sehr das hohe Lied auf die kulturelle Bildung?

Dr. Ulrike Freundlieb: Kulturelle Teilhabe bedeutet Partizipation am kulturellen Geschehen einer Gesellschaft im Besonderen, an ihren Lebens- und Handlungsvollzügen im Allgemeinen. Damit ist die kulturelle Bildung eine nicht minder wichtige Voraussetzung für eine gelingende Bildungsbiografie wie etwa das Beherrschen einer Sprache.

Steht denn kulturelle Bildung gleichwertig neben schulischer Bildung?

Dr. Ulrike Freundlieb: Das ist so – und noch vieles mehr. Sogar ein Fußballspiel kann ein wunderbares Bildungsangebot sein: Man hält sich an Regeln, entwickelt Teamfähigkeit, muss üben und trainieren und ist fester Bestandteil einer Mannschaft, also eines gesellschaftlichen Systems. Auch das ist ein vielfältiges Lernumfeld. Solche Lernfelder müssen wir kreieren und pflegen.

Nochmal zurück zum Kino.

Dr. Ulrike Freundlieb: Kino zielt auf Emotionen und Visualität und öffnet dadurch ganz neue Zugänge zu bildungsrelevanten Themen. Seien es Tierfilme, Literatur- oder Historienverfilmungen, seien es Bücher oder gar Computerspiele: Jedes Medium öffnet andere Lernkanäle und Kino ist multimedial.

Aber ein paar Blockbuster dürfen wir schon noch zeigen?

Dr. Ulrike Freundlieb: Gewiss, auch Zerstreuung ist natürlich ein wichtiger Bestandteil! Doch Kino ist nicht gleich Kino. Gerade in Mannheim bieten Kinos darüber auch noch vieles mehr: von fremdsprachigen Filmvorführungen bis hin zu hochkarätigen Übertragungen aus den renommierten Opernhäusern der Welt. Das ist ein tolles Spektrum an Alltagsbereicherung und unbestritten auch kulturelle Bildung. Dass dieses vielfältige Angebot auch unternehmerisch Sinn macht zeigt, dass all unser Wirken auf fruchtbaren Boden fällt.

Also im Ergebnis finden Sie, dass Kino heute viel mehr zu bietet hat als früher, aber besonders gut finden Sie unsere Workshops und Festivals, in denen wir junge Menschen aktivieren?

Dr. Ulrike Freundlieb: Mein Job als Bildungsbürgermeisterin ist es, die natürlichen Verbündeten zu finden und mit diesen gemeinsam meine Aufgabe umzusetzen: Gleiche Bildungschancen für alle Teile unserer Bevölkerung zu schaffen. Darum freue ich mich immer über neue Kooperationsideen, wie sie oft vom Kino kommen.

Was tun Sie, um noch mehr solche Projekte möglich zu machen?

Dr. Ulrike Freundlieb: Medienpädagogik und die Vermittlung von verantwortungsbewusster Mediennutzung ist ein extrem hoher Bildungsanspruch. Kooperationen sind ja auf vielen Ebenen möglich – mit den Schulen, mit den offenen Jugendtreffs und Jugendhäusern, mit der Stadtbibliothek. Es gibt viele natürliche Andockstellen, die nur aufeinander zu justiert werden müssen. Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen gilt es, die bestehenden Angebote sinnvoll zu verknüpfen. Eine Kooperation ist eben nur dann nachhaltig, wenn alle davon profitieren.

Wenn Sie Kinomacherin wären, was würden Sie ins Programm heben?

Dr. Ulrike Freundlieb: Wir erleben aktuell eine große Zuwanderung, unsere Stadtgesellschaft wird stets bunter. Wir wissen nicht viel über unsere neuen Mitbürger und umgekehrt gilt das gewiss auch. Oft herrscht eine große Ungewissheit darüber, wie unser Bildungssystem funktioniert und wie durchlässig es ist, wie die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft ist und vieles mehr. Filme können hier wichtige Aufklärung leisten – und zwar in beide Richtungen.

Was war Ihr erstes Kinoerlebnis?

Dr. Ulrike Freundlieb: Als ich neun Jahre alt war, nahm meine Großmutter mich und meine Schwester mit ins Kino. Es war ein Film mit Heinz Rühmann, aufregend und traurig zugleich. Es war kein Kinderfilm. Wir haben schlecht geschlafen.

Sind Sie eine Kinogängerin?

Dr. Ulrike Freundlieb: Ich bin in meiner Studentenzeit in Kiel eine intensive Kinogängerin geworden, heute schaffe ich es zu meinem Bedauern leider seltener ins Kino, berufsbedingt. Noch nie habe ich einen Film zweimal gesehen. Zuletzt hat mir „Madame Mallory und der Duft von Curry“ gut gefallen.

Die Fragen stellte Herbert W. Rabl.

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